Timber: Nichtbinär in Wurzen.

Timber (dey/deren)
Timber: Nichtbinär in Wurzen.

Ich bin Timber; ich bin nichtbinär und lebe in Wurzen.

Ich komme nicht ursprünglich aus Wurzen, sondern aus Ulm. In meiner Kindheit wurde Queerness immer als etwas Seltsames beschrieben. Ich erinnere mich zum Beispiel gut daran, wie meine Mutter einmal sagte: “Wenn du schwul wärst, würde ich dich natürlich immer noch lieben, aber ich wäre schon traurig.”

Ich hatte immer Angst, zu feminin, zu schwul zu wirken. In der Schule schlug ich eine Weile lang gern die Beine übereinander, bis ein Schulfreund sagte das wäre schwul. Ich war als Kind überzeugt davon, dass schwul im Grunde ein Synonym zu uncool wäre.

Ich vermute, dass ich mich wegen dieser Vorurteile und dieser Stigmatisierung nie getraut habe, einige Aspekte von mir zu zeigen. Femininere Aspekte, queere Aspekte. Daran hat sich nichts geändert, bis ich 2022 nach Lützerath gezogen bin.

Lützerath

Lützerath war ein kleines besetztes Dorf am Rande des Tagebaus Garzweiler II in Nordrheinwestfalen. Der Tagebau sollte erweitert werden, um die Kohle darunter abzubaggern und zu verbrennen. Dafür musste Lützerath abgebaggert werden. Wir waren (und sind) der Meinung, dass die Kohle nicht gebraucht wurde; deshalb hatten wir das Dorf besetzt.

Lützerath war nicht nur ein Ort gegen Braunkohle, sondern auch ein Ort, in dem wir andere Lebensweisen erproben wollten. Ein Leben möglichst ohne gesellschaftliche Erwartungen und Zwänge. Insbesondere also ein Leben ohne Queerfeindlichkeit; ein Leben, in dem feminine und queere Aspekte gefeiert statt stigmatisiert werden.

In Lützerath hatten auch einige weitere nichtbinäre Menschen gelebt. Nichtbinär bedeutet, sich weder als Frau noch als Mann zu identifizieren, also in keine der beiden binären Optionen. Nichtbinäre Menschen nutzen deshalb oft auch andere Pronomen als Männer und Frauen; zum Beispiel dey/deren/denen/dey (inspiriert von englischen they/them) oder em/ems. Weil sich in Lützerath Menschen typischerweise mit ihren Pronomen vorgestellt hatten, war es sehr einfach, andere Pronomen auszuprobieren. Weil gleichzeitig ich immer mehr gemerkt hatte, dass ich mich mit er/ihn-Pronomen unwohl fühle, probierte ich dey/deren-Pronomen aus. Das fühlte sich deutlich besser an; ich nutze auch heute noch dey/deren als meine bevorzugten Pronomen.

Nach der Räumung

Anfang 2023 wurde Lützerath geräumt, weil RWE noch immer an die Kohle darunter wollte. Aber nur weil ich nicht mehr an dem Ort leben konnte, der möglichst offen gegenüber queeren Menschen waren, hörte ich nicht auf, queer zu sein. Und ich wollte auch nicht wieder dahin zurück, meine femininen, queeren Aspekte zu verstecken. Stattdessen lebte ich sie immer mehr aus; ich fing an, Röcke und Kleider zu tragen, ließ mir Ohrlöcher stechen und epilierte meine Beine.

Ich fühlte mich immer wohler in meinem Auftreten als nichtbinäre Person; gleichzeitig erfuhr ich immer mehr Unverständnis und Gewalt dafür. Auf den Straßen schauten mich Menschen voller Unverständnis an oder lachten über mich. Einige Menschen riefen mir Dinge hinterher (für Frauen leider häufig auch Alltag). Mehrmals wurde ich in der Öffentlichkeit sexuell belästigt. Auch das gehört leider häufig zum Alltag als queere Person dazu.

Ich fing an, genau zu überlegen, wann ich wie offen queer auftreten wollte und konnte. Wenn ich abends allein unterwegs war, versteckte ich meine feminine Seite eher. Genauso wenn ich in Gegenden unterwegs war, die ich eher rechts und damit queerfeindlich einstufen würde. Und dann zog ich nach Wurzen.

Wurzen

In Wurzen versteckte ich in der Öffentlichkeit meine queere Seite am Anfang vollständig. In einer Kleinstadt, die für ihre rechte Gewalt bekannt ist und in der fast die Hälfte die AfD wählt, fühlte ich mich draußen nicht sicher. Ich versuchte, nie allein unterwegs zu sein und möglichst wenig aufzufallen.

Nach einer Weile fing ich aber an, mich mehr zu trauen. Inzwischen bin ich öfters mit einem Rock oder ähnlichem draußen unterwegs; und das auch mal allein. Ich versuche immer wieder mit Menschen ins Gespräch zu kommen; auch mit denen, die die AfD wählen. Ich versuche zu verstehen, wieso Menschen eine Ideologie unterstützen, die mir meine Existenz abspricht.

Gleichzeitig scheinen manche Vorurteile, die ich über Wurzen hatte, falsch gewesen zu sein. Menschen schauen mich zwar auch hier verwirrt an, bisher wurde mir aber noch nie hinter hergerufen und ich habe (noch) keine sexuellen Belästigungen erfahren.

Abends möchte ich aber noch immer nicht allein in Wurzen unterwegs sein – insbesondere nicht, wenn Menschen mich als queer identifizieren könnten. Dafür passieren dann doch zu viele Angriffe von rechten auf queere Menschen.

Timber (dey/deren)

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Nichtbinär in Wurzen.