Lena: Demisexuell in Wurzen(?)
Ich bin Lena, lebe in Wurzen und eigentlich bin ich nicht queer. Eigentlich. Als ich vor einigen Jahren eine Hausarbeit über Asexualität und intime Beziehungen schrieb, stieß ich auf den Begriff demisexuell. Demisexualität befindet sich auf dem Ace-, dem asexuellen Spektrum und meint, nur sexuelle Anziehung zu Menschen zu empfinden, zu denen man bereits eine starke emotionale Bindung aufgebaut hat.
„Die meisten Menschen auf der nicht-asexuellen Seite des Spektrums fühlen sich sexuell angezogen, unabhängig davon, ob sie eine enge emotionale Bindung zu jemandem haben oder nicht. Sie können sexuelle Gefühle für attraktive Menschen auf der Straße, Klassenkameraden oder Arbeitskollegen, mit denen sie kaum gesprochen oder für Prominente haben. Es kann jedoch sein, dass sie mit dem Sex warten wollen, und zwar aus verschiedenen Gründen: Vielleicht ist es nicht möglich oder nicht angemessen, sie wollen sichergehen, dass die Person respektvoll und freundlich ist, es ist gegen ihre religiösen Überzeugungen, sie wollen nur in einer romantischen Beziehung Sex haben usw. Der Unterschied ist, dass Demisexuelle diese sexuellen Gefühle zu Beginn gar nicht haben.“1
Als ich solche Beschreibungen las, machte es sofort Klick. Plötzlich ergab es Sinn, warum sich Freundinnen in der Schule stritten, ob nun der Schauspieler Dean oder Sam von Supernatural hotter ist, während ich mich stattdessen in die nicht den gesellschaftlichen Schönheitsidealen entsprechende männliche Hauptfigur von Atypical oder von The End of the fucking world verguckte. Und zwar auch nur so lange wie sie und die Serie mich in meinem Alltag begleiteten, und, nicht etwa in den Schauspieler selbst, sondern nur in die Rolle, in den Charakter, den er verkörperte. Es ergab plötzlich Sinn, warum ich es absolut hasse, neue Menschen zu daten, zu flirten, weil dann immer gleich sexuelle Erwartungen im Raum stehen, ich mich zu lange angestarrt oder unangenehm berührt fühle. Es ergab plötzlich Sinn, warum ich körperliche Merkmale an meinem Expartner, die ich erst unattraktiv, warum ich ihn insgesamt erst nach einiger Zeit körperlich anziehend empfand.
Im folgenden Teil geht es um Trauma und psychische Störungen
Als mein Exfreund mich zum ersten Mal küsste – wir kannten uns noch kaum – machte es allerdings auch Klick. Und ich war weg. Wie weggetreten. Kontrollverlust. Ich kann bis heute nicht sagen, ob der Kuss drei Sekunden oder drei Minuten dauerte, aber er hat in mir etwas ausgelöst, mich getriggert. Durch meine Psychotherapie verstehe ich mittlerweile, dass ich in dieser Situation, wie auch in anderen nur in abgeschwächter Form, derealisiert habe. Dabei fühlt sich die Umgebung plötzlich fremd und surreal an. Ich beschreibe es gerne als Matrixgefühl, nur, dass ich weiß, dass wir uns nicht in einer Simulation befinden, sondern lediglich meine Wahrnehmung manchmal gestört ist. Manchmal heißt in Situationen, in denen ich einem Menschen stark körperlich nah bin. Einem Menschen, den ich noch nicht gut kenne, zu dem ich noch keine starke emotionale Bindung aufgebaut habe. Als ich zum ersten Mal mit meinem Exfreund schlief – wir verbrachten seit einigen Monaten fast jeden Tag miteinander – überkamen mich keine dieser negativen überwältigenden Gefühle.
Was dieser Zusammenhang bedeutet und ob er überhaupt etwas zu bedeuten hat, bin ich ehrlicherweise noch am Herausfinden für mich. Ob es mich weniger demisexuell macht, wenn es vielleicht nur auf erlebten Traumata beruht? Ich weiß es nicht. Was ich weiß, ist, dass ich mich meistens erst zu Menschen sexuell hingezogen fühle, wenn ich eine enge emotionale Bindung zu ihnen aufgebaut hab. Dass ich mich unwohl dabei fühle, mit Menschen, die ich noch nicht gut kenne, zu flirten, unwohl damit fühle, zu daten. Dass ich Zeit brauche, damit ich mich mit Menschen körperlich wohl und gut fühle. Und dass, falls du das nicht respektieren kannst, du leider nicht mit mir schlafen kannst.
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http://demisexuality.org/articles/what-is-demisexuality/ (Übersetzt mit DeepL.com) ↩