Janina: Pansexuell in Wurzen.
Ich wurde als Mädchen aufgezogen und habe das nie in Frage gestellt bzw. auch nie als für mich übermäßig unangenehm oder unpassend empfunden. Gleichzeitig war es aber auch nie ein wichtiger Teil meiner Identität. Mein Vater spielte keine wirkliche Rolle in meiner Kindheit und meine Mutter hat mir eine starke, unabhängige, stolze und quasi unlimitierte Weiblichkeit gezeigt - im Sinne von “Selbstverständlich kann ich das auch! Wahrscheinlich sogar besser als du…”
In meinem Aufwachsen habe ich mich häufig mit männlichen Charakteren in Filmen oder Büchern identifiziert und unbewusst “männliche” Verhaltensweisen übernommen. Ich hatte Freundschaften mit Jungs und fand Mädchen manchmal kompliziert. Trotzdem war ich auch Teil einer Mädchen-Clique. Ich war dann oft diejenige, die ihre Freundinnen spät abends noch nach hause gebracht hat, damit sie keine Angst haben müssen.
Ich hab eigentlich immer gewusst, dass ich nicht nur hetero bin. Mein sexuelles Erwachen bezog sich zwar zunächst auf Jungs (und männliche Animefiguren), aber ich habe auch immer eine Anziehung zu Mädchen und Frauen gespürt. Ich habe mich dafür nicht geschämt, ich fand das eigentlich ziemlich cool und bin selbstbewusst offen damit gewesen. Ich habe gerne erzählt, dass ich bisexuell - also tendenziell an männlichen sowie weiblichen Menschen interessiert - bin. Als ich 15 war und zum ersten Mal deswegen Ablehnung von einer neuen Bekannten erlebt habe, war ich verwirrt und verunsichert, fand aber vor allem sie danach komisch, nicht mich.
Trotzdem hatte ich bisher nur romantische Beziehungen mit Jungs und später Männern. Ich denke das liegt vor allem daran, dass es viel einfacher ist in einer Gesellschaft, in der Heterosexualität der Normalfall ist. Bei der Frage “Kann ich mit der Person flirten, ist sie wohl grundsätzlich interessiert?” ist es schlicht sicherer und leichter sich dem anderen Geschlecht zuzuwenden. Außerdem wurde ich als Mädchen und später Frau auch eher von Jungs und Männern angesprochen. Um Frauen kennenzulernen hätte ich mich anstrengen müssen, hätte mir eine Blöße geben müssen. Das habe ich mich nicht getraut und außerdem hatte ich dann auch ganz schnell immer wieder einen Freund.
Erst in meinem Erwachsenenleben bin ich dem Begriff “pansexuell” begegnet, der soviel bedeutet wie “sich von Menschen unabhängig ihres Geschlechtes angezogen fühlen”. Erst fand ich ihn unnötig - wo ist denn der Unterschied zum bisexuell sein? Dann habe ich die ersten Menschen in meinem Umfeld gehabt, die nicht-binär waren, und plötzlich ergab es Sinn: Wenn ich mich zu einem Menschen hingezogen fühle, der weder eindeutig männlich noch klar weiblich ist, dann passt es nicht zu sagen ich wäre bisexuell. Dann geht die Anziehung wirklich von der Person aus und nicht von einer besonders attraktiven Männlich- oder Weiblichkeit. Das habe ich erlebt, weswegen ich den Begriff inzwischen für mich passend finde.
Das Kennenlernen von Menschen, die sich selbst als nicht-binär definierten, hat mich auch zu mehr Auseinandersetzung mit meiner eigenen Gender-Identität inspiriert. Das tat ich meist im Stillen mit mir selbst, denn da ich niemals Dysphorie - also das starke negative Gefühl im falschen Körper zu sein - empfunden habe, wollte ich nicht anmaßend Begriffe für mich einnehmen, zu denen Andere ganz viele Emotionen haben. Ich wollte nicht mit Pronomen experimentieren, wenn für mich kein Leidensdruck dahintersteht. Das hätte sich irgendwie respektlos angefühlt.
Für mein Gefühl von Selbst ist die Gender-Kategorie nach wie vor nicht sonderlich wichtig. Was männlich und weiblich ist kann sich von mir aus immer weiter aufweichen, sodass es irgendwann keine Rolle mehr spielt; gleichzeitig kann eine Frau mit Bart superfeminin und ein Mann im Kleid total maskulin sein. In meiner Welt geht das. Ich selbst habe meine Weiblichkeit lange sehr beiseite geschoben und fange jetzt gerade mal wieder an mit Mode zu spielen. Irgendwann würde ich gern mal als Mann in eine Bar gehen, ich glaube das würde großen Spaß machen. Ich wäre bestimmt ein überzeugender Kerl. Aber für mich ist das spielen. Das Ausleben der Erkenntnis, dass Gender wie auf einer Bühne performed werden kann - und dass das im Alltag aber eben auch genauso gut weggelassen werden kann. Wer ich bin hängt nicht davon ab.
Inzwischen gehe ich auf die 40 zu, bin mit einem Mann verheiratet mit dem ich Kinder habe und würde sagen dass ich queer bin. Dass das nicht offensichtlich ist, hat mich lange davon abgehalten. Die Sorge respektlos zu sein vor “den wirklichen Queeren” hat sich lange gehalten. Jetzt weiß ich, dass jeder Mensch so queer ist wie er sich fühlt, und dass das okay ist. Dass das sogar positiv sein kann, indem es zu einer Normalisierung beiträgt. Ich bin nach wie vor pansexuell, irgendwie nicht so richtig binär, potenziell polyamor (im Alltag ist mir das bloß zu anstrengend… ;p) und trotzdem Mutter und Ehefrau. In meiner Welt geht das. :)