Gwen: Agender in Wurzen.

Wenn du dich jetzt fragst: “Was ist Agender überhaupt?”, dann geht es dir wie mir die meiste Zeit in meinem Leben. Erst vor einiger Zeit habe ich entdeckt, dass es queere Menschen gibt, was das bedeutet und wie anders es ist, mit solchen Menschen Zeit zu verbringen.

Aber von Anfang an.
Ich wurde mit Vulva geboren, deswegen war ich ein Mädchen und sollte zu einer Frau werden… Und obwohl ich es - eine Frau - jetzt schon angeblich über 20 Jahre lang war, weiß ich bis heute nicht, was das bedeuten soll. Was bedeutet es eine Frau zu sein?
Bis vor kurzem habe ich das nur noch nie hinterfragt und davor habe ich es einfach angenommen, einfach weil ich dachte, dass sich alle so fühlen…
“Wie fühlen?”, fragst du? Und ich kann dir nicht wirklich antworten denn für mich war Geschlecht nie ein Teil meines Gefühlslebens. Ja klar, es war und ist Teil meiner Identität, aber nur weil andere mich so behandeln wie sie eben “Mädchen” behandeln. Dass Menschen mich ansehen und eine junge Frau sehen, macht etwas mit mir.
Trotzdem: Geschlecht ist für mich etwas, das andere mir aufzwingen und nicht etwas, das ich in mir fühle.

Also was bedeutet es für mich, eine “Frau” zu sein?
Mädchen oder Frau genannt zu werden hat für mich bedeutet, dass ich bei Familienfeiern mit meinen Tanten am Tisch saß, während meine Cousins draußen gespielt haben, weil ich doch “so ein liebes Mädchen” war.
Es hat bedeutet, dass mein bester Freund und ich im Kindergarten nicht Freunde waren, nein wir mussten sicher heimlich ineinander verliebt sein. Wieso sonst sollte ein Junge mit einem Mädchen spielen wollen?
Und es hat bedeutet, dass ich nie ermutigt wurde auch mal laut zu sein und für mich einzustehen, weil Mädchen eben schüchtern sind. Es hat mir weggenommen ein stolzer, selbstbewusster Mensch zu sein, der auch mal laut wird und “Nein, Stefan ich brauche deine Hilfe nicht, ich kann das sehr gut selbst” sagt. Und so wurde ich von einem braven schüchternen “Mädchen” zu einer zurückhaltenden, schüchternen jungen Menschen der sich nicht so viel traut und für sich einsteht, besonders gegenüber Männern.
Wenn ich daran denke und auch jetzt, während ich darüber schreibe, werde ich traurig, an manchen Tagen auch wütend. Ein Mädchen “zu sein” hat mir so viel weggenommen. All die guten Freunde, die ich hätte haben können, all die handwerklichen Fähigkeiten, die ich mir jetzt mühsam selbst anlernen muss.

Als Kind hab ich mich so durchgemogelt. Beim Vater/Mutter/Kind spielen wollte ich der Hund der Familie sein. Aber dass ich mich überhaupt nicht mehr mit dem Label Frau identifiziere, oder es sogar aktiv Unwohlsein in mir auslöst, ist damals auch irgendwie nie aufgefallen, mir zumindest nicht. Weil ich dachte alle fühlen sich so…
Und obwohl ich, wie ihr seht, viel über Geschlecht und was es für mich, aber auch generell bedeutet, nachgedacht habe, habe ich das Gefühl, es nicht wirklich zu verstehen. Ich kann es einfach nicht fühlen. Ich weiß nur dass “Frau” nicht das ist, was für mich passt, und “Mann” auch nicht, aber irgendwie auch nichts dazwischen. Am ehesten fühle ich die Abwesenheit von Geschlecht wenn ihr euch darunter etwas vorstellen könnt…

Denk an einen Pinguin. Wenn du ihn “vor dir siehst”, dann siehst du/denkst du nicht sofort: Oh das ist ein Pinguiner oder eine Pinguinin. (Ich weiß das gibt es nicht wirklich, aber es interessiert halt auch einfach keinen ob der Pinguin ein Typ ist oder nicht). Du siehst es nicht, es interessiert dich nicht und spielt für dich auch erst einmal einfach keine Rolle. So wünschte ich, dass Menschen mich sehen. Nicht als Pinguin natürlich, aber eben ohne gleich ein Geschlecht zu sehen, das im schlimmsten Fall auch noch bestimmte Dinge mit sich bringt.

Ich fühl “mein Frau sein” nicht und ich will es auch gar nicht. Wenn Menschen mich Frau nennen oder sie oder ihr für mich benutzen, fühlt es sich von seltsam bis hin zu äußerst unangenehm und verletzend für mich an. Ich fühl mich die meisten Tage gar nicht. Manchmal wünschte ich, ich wäre ein Typ, manchmal fände ich es ganz nett eine Frau zu sein, manchmal wünschte ich Menschen würden denken ich wäre ein Typ, aber meistens fühl ich nichts. Oft denke ich es würde am ehesten passen, wenn Menschen einfach einen Fleischblob sehen, ohne Brüste, ohne Vulva, ohne Penis, ohne “was auch immer”, was mich eben zu einer Frau oder einem Mann macht. Ich würde gerne einfach Hörner haben oder tausend Arme, ein Etwas, das kein Geschlecht hat oder haben muss und einfach da ist.

Ich fühl mich nicht, ich verstehe Geschlecht nicht, aber ich bin sicher keine Frau. Ich weiß auch wer ich bin und was mich ausmacht. Ich mag Tiere sehr gerne, ich bin ziemlich kreativ und handwerklich begabt, besonders gerne arbeite ich mit Metall. Ich kann mehrere Instrumente spielen. Mag es aufzuwachen, weil die Sonne in mein Zimmer scheint oder am besten gleich draußen zu schlafen. Ich liebe die Farbe orange, den Geruch von Regen im Wald und den Geschmack von …. und natürlich viel mehr, aber ich finde irgendwie, das mich das ausmacht und viel besser beschreibt als “junge Frau in ihren 20ern” jemals tun könnte.

Also, agender bedeutet in meinem Fall, dass ich kein Geschlecht hab und auch keines haben will, weil es für mich einfach keinen Sinn macht. Ich weiß das, jetzt muss nur noch der Großteil der Welt damit klarkommen….